TÖNNINGER DAMPFSCHIFFFAHRTSGESELLSCHAFT

Die Stadt Tönning hatte um 1870 knapp 3.000 Einwohner und war seit 1842, damals gab die englische Regierung die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte frei, stark auf den Außenhandel ausgerichtet. Unterstrichen wurde dies, durch das Vorhandensein eines englischen und eines niederländischen Konsulats.

Die Engländer schätzten jedoch nur das deutsche Vieh, den Transport auf ihre Insel wollten sie selbst übernehmen, um die zu zahlenden Frachtentgelte zu vereinnahmen. Am 20.November 1871 gründeten deshalb die Herren D. Sammann, O.B. Lorenz, J.C.J. Stamm und Jan Helms die Tönninger Dampfschifffahrtsgesellschaft. Als Geschäftsführer und Inspektor wurde Kapitän Wraa eingesetzt. 

Die Gesellschaft war später übrigens auch Anlass zur Gründung der "Tönninger Darlehensbank" im Jahre 1875 - der späteren "Schleswig-Holsteinischen Bank" - und der "Westholsteinischen Bank" im Jahr 1896. Beide Banken wurden von Gustav Adolf Thomsen gegründet. Die Banken verliehen jedes Jahr im Frühjahr "Gräserkredite" zur Aufzucht von Jungvieh. Das Schlachtvieh wurde dann auf Schiffen der Tönninger Dampfschifffahrtsgesellschaft im Herbst nach England transportiert.

In den Jahren 1874-1880 wurden bis zu 60.000 Stück Hornvieh und Schafe exportiert. Importiert wurde im Gegenzug englische Kohle. Trotz dieser positiven Rahmenbedingungen, stand das Unternehmen Tönninger Dampfschifffahrtsgesellschaft von Beginn an unter keinem guten Stern. Bereits 1872 hatte die Gesellschaft ihren ersten Verlust zu beklagen. Die "EIDERSTEDT" strandete am 15. Oktober 1872 auf der Reise von London nach Tönning bei Lowestoft und ging verloren. Die an Bord befindliche 30 Mann Besatzung und ein Passagier konnten gerettet werden. Vorübergehend setzte die Reederei die vom Norddeutschen Lloyd in Bremen gecharterten Dampfer "SPERBER" und "MÖWE" ein, bis 1873 der in England bestellte Raddampfer "DITHMARSCHEN" fertig war. Dieses imposante Schiff mit zwei Schornsteinen eignete sich jedoch weder für die Viehfahrt, noch ließ es sich an andere Reeder verkaufen. 1875 kam daher die in Kiel gebaute "SCHLESWIG" hinzu, die 800 Stück Rindvieh befördern konnte.

1880 entbrannte zwischen den Tönningern, deren Reederei mittlerweile einen Marktanteil von 70% innehatte, und den britischen Reedern ein Kampf um die Frachtraten. Die Inselreeder unterboten die Frachttarife, was zu Gewinn-Verlusten auf beiden Seiten führte. Der Dampfer "SCHLESWIG" wurde 1880 mit besserer Lüftung und modernen Tränke-Einrichtungen ausgerüstet, um die Zahl der Tierverluste während der Reise zu reduzieren, was dazu beitrug die kaufmännischen Verluste zu verringern. Zu diesem Zeitpunkt absolvierten die Dampfer in jeder Saison, die von April bis September dauerte, etwa 20-24 Fahrten zwischen Tönning und der britischen Insel. Im Winter wurden die Dampfer in der "Wilden Fahrt", wie man die Trampfahrt damals nannte, beschäftigt.

1889 wurde die Maul- und Klauenseuche nach Großbritannien eingeschleppt, was die Britische Regierung zu einem sofortigen Viehimport-Stop veranlasste. Das traf natürlich die Tönninger Reederei schwer, da sie einseitig auf Viehfahrt ausgerichtet war. Im Jahr 1888 wurde daher zum letzten Mal eine Dividende von 4,5% ausgezahlt. Danach schlossen die jährlichen Bilanzen mit Negativsalden ab. Ein Ausweg wurde im Export von Frischfleisch nach England gesucht. Mit großem finanziellen Aufwand wurde die "DITHMARSCHEN" mit einer Kühlanlage versehen. Aber das bewährte sich überhaupt nicht, so dass der Dampfer 1890 an Gebr. Vorwerk in Hamburg verkauft wurde. Trotz dieser Probleme bestellte die Reederei in Kiel zusätzlich den Dampfer "HOLSTEIN". Ab Ablieferung im November 1889 wurde das 1321 BRT große Dampfschiff nur in der Trampfahrt beschäftigt, zum Einsatz ab Tönning kam es nie.

Bis 1892 fuhren nur noch zwei Tönninger Dampfer über die Meere. Diese beförderten vornehmlich Vieh, etwa von Australien oder den Falklands nach Amerika oder England. Die Schiffe der Tönninger Dampfschifffahrtsgesellschaft waren die einzigen, die je den Namen Tönning über die Weltmeere trugen, sieht man von der Dreimastbark "MARIE" ab, die dann später für Zerssen & Co. in die Südsee fuhr.

Im Jahre 1903 wurde die Tönninger Dampfschifffahrtsgesellschaft liquidiert, die beiden letzten Dampfer wurden für 400.000 Mark an die Kieler Reederei Diedrichsen verkauft. Das Reedereigebäude am Markt ging in den Besitz der Schleswig-Holsteinischen Westbank über. Übrigens teilten auch die drei Schiffe das Schicksal der Gesellschaft und gingen unter. Die "DITHMARSCHEN" (später "ANITA") strandete 1893 zwischen Punta Arenas und Iquique, die "SCHLESWIG" strandete 1901 an der Nordküste Jamaicas und die "HOLSTEIN" (später "DAFNI") wurde 1915 von einem russischen Zerstörer versenkt.

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